Multivisionsschau "ÄTHIOPIEN"

ÄTHIOPIEN

Naturvölker, Felsenkirchen und eine Expedition zu glühenden Vulkanen

von Hermann - Josef Bergmann

Kassa freut sich riesig über das Paket Kugelschreiber und die Schulhefte, die ich ihm gerade überreicht habe. Er ist von der Regierung beauftragt, regelmäßig beim Stamm der Karo nach dem Rechten zu sehen und diese Volksgruppe auf dem Weg in die Moderne zu begleiten. Seit drei Jahren erst gibt es hier eine Schule, und Bildung wird sehr behutsam eingeführt: Nur einem Kind pro Familie wird die Chance gegeben, Lesen, Schreiben und ein wenig Rechnen zu lernen. An Schreibmaterial fehlt es hier immer, und da kommt der kleine Beitrag zur Völkerverständigung gerade recht.

Ich bin tief im Süden eines der größten Binnenstaaten Afrikas, am Unterlauf des Omo-Flusses. Hier leben viele ethnologisch interessante Stämme, daher wird der Süden Äthiopiens auch das „Museum der Völker“ genannt. Ein Weg zu den nicht einmal 2.000 Menschen in den Dörfern der Karo ist erst vor vier Jahren geschaffen worden, befahrbar ist dieser allerdings nur in der Trockenzeit und selbst dann auch nur mit Allradfahrzeugen. Nach einer 5-stündigen Fahrt über Geröllfelder, durch trockene Flußtäler und nach zwei Reifenpannen bin ich in der Steinzeit angekommen. Das Volk der Karo lebt vom Fischfang und baut Hirse an, diese wird zwischen Mahlsteinen von Hand zu Mehl gerieben. Sie haben keine Zeitrechnung, die Menschen wissen nicht, wann sie geboren wurden oder wie alt sie sind. Sie kennen keine Schrift, die Geschichte des Stammes wird nur mündlich von Generation zu Generation weitergegeben. Besucht habe ich hier im Süden auch Dörfer der Hamar, die als Haarfestiger roten Ton verwenden, und der Mursi, bei denen die Frauen sich die Lippen aufspalten und mit Tontellern verzieren.

So vielfältig wie die Völker des Südens, so vielfältig habe ich das gesamte Land Äthiopien auf zwei Reisen kennengelernt. Einem der ärmsten Länder der Erde ist es gelungen, Schulen in nahezu allen Dörfern zu errichten, die Wirtschaft boomt und verzeichnete zuletzt zweistellige Wachstumsraten. Aber es gibt auch militärische Spannungen an der Grenze zu Eritrea und humanitäre Notlagen im Norden. Im wachsenden Tourismus sieht Äthiopien große Chancen. Gerade das Hochland, bekannt als das Ursprungsland des Kaffees, hat kulturgeschichtlich Bedeutendes zu bieten.

In Axum habe ich einen über 3.000 Jahre alten Tempel erkundet, der Legende nach herrschte hier die Königin von Saba, mächtige Herrscherin im Weihrauchland. Erst im letzten Jahr hat man bei Ausgrabungen alte sabäische Schriftzeichen gefunden - Indizien, die die Legende untermauern.

Die Felsenkirchen von Lalibela, entstanden im 12. Jahrhundert, haben mich tief beeindruckt, sie sind Weltkulturerbe der Vereinten Nationen. Hier erlebe ich auch die tiefe Religiosität der streng orthodoxen Christen. In der Kirche Naakuto La‘ab lerne ich Priester Ioannis kennen, er zeigt mir stolz eine über 700 Jahre alte Bibel mit wunderbaren Ikonenmalereien. Alte Palastanlagen aus der Blütezeit der Kunst und Kultur im 17. und 18. Jahrhundert bestaune ich in der ehemaligen Kaiserstadt Gondar. In Bahir Dar stehe ich am Ufer des Tana-Sees, der von über 50 Zuflüssen gespeist wird und das Quellgebiet des Blauen Nil darstellt. Dieser stürzt auf dem Weg nach Ägypten die Tissiat-Wasserfälle hinunter.

Im Osten Äthiopiens hat mich die Stadt Harar besonders fasziniert. Nach Mekka, Medina und Jerusalem gilt sie als die viertwichtigste Stadt des Islam, sie wird auch „Timbuktu des Ostens“ genannt. Über 100 Bauwerke in der Stadt sind Moscheen, Synagogen und Kirchen. Sie alle stehen innerhalb einer mittelalterlichen Stadtmauer dicht beieinander, in den Gassen habe ich ein buntes, quirliges und friedliches Zusammenleben von Menschen unterschiedlichster Rassen, Kulturen und Religionen erlebt.

Trotz oft schwierigster Lebensumstände habe ich die Menschen in Äthiopien zwar mit einer gewissen Portion Skepsis, aber doch voller Optimismus und Fröhlichkeit erlebt. Fotografisch war es für mich eine besondere Herausforderung, diese Menschen in ihrer ganzen Vielfalt zu porträtieren.

Äthiopien liegt inmitten einer Kernzone des Großen Afrikanischen Grabenbruchs und ist eine der geotektonisch aktivsten Zonen der Erde, Erdstöße und Vulkanausbrüche treten immer wieder auf. Ein Vulkan war für mich auch der Anlaß, an einer Expedition teilzunehmen: Ziel unserer 12-köpfigen Gruppe war es, den aktiven Vulkan Erta Alé zu besteigen. Der allerdings liegt weit abgelegen in der Wüste Danakil, einer extrem lebensfeindlichen Zone mit ausgetrockneten Salzseen, spritzenden Geysiren, blubbernden Schlammtümpeln und kochenden säurehaltigen Seen. Außerdem ist die Wüste militärisches Sperrgebiet und die Heimat der Afar, die als besonders kriegerischer Volksstamm gelten.

Mit fünf speziell hochgelegten Allradfahrzeugen brechen wir von Harar aus auf. Unsere Begleitmannschaft besteht aus fünf Fahrern, einem Dolmetscher, einem Koch, zwei ortskundigen Führern vom Stamm der Afar sowie vier Soldaten und zwei Polizisten. Die Soldaten sollen uns sicher durch die von Landminen freien Gebiete lotsen, die Polizisten haben die Aufgabe, uns vor Entführung zu schützen.

Viel größere Sorgen machen uns aber die klimatischen Bedingungen in dieser Wüste. Jeder aus unserer Gruppe hat nicht nur intensiv trainiert, jeder hat auch ein Belastungs-EKG erstellen lassen. Der Grund liegt in der extremen Hitze der Danakil, die zu den heißesten Zonen unseres Planeten gehört: Selbst in der kühlen Jahreszeit, zu der wir unterwegs sind, liegt die Tagestemperatur bei über 50 Grad im Schatten. Den aber gibt es so gut wie gar nicht, denn diese Wüste ist nahezu ohne größere Vegetation. Auch während meines Aufenthaltes ist die Temperatur nachts nie unter 30 Grad gesunken. Ausgerüstet haben wir uns für die Danakil mit reichlich Proviant, Treibstoff, Zelten, Sandblechen und Reservereifen sowie mit 10 Litern Wasser pro Person und Tag, und das war knapp.

Wir fahren über schwierige Sand- und Geröllstrecken, über erkaltete Lavafelder, durch ausgetrocknete Flußbetten und über flimmernde Salzseen. An einem Tag fahren wir bei Sonnenaufgang los und kommen bei Sonnenuntergang an, wir schaffen aber nur 75 km, verschleißen dazu 4 Reifen und stecken zweimal in Sand und Geröll fest.

Wir übernachten unter freiem Himmel inmitten heißer Quellen am Salzsee von Afdera, betrachten staunend in der klaren Luft ein gewaltiges Sternenzelt.

Nach 4 Tagen Anfahrt durch die Danakil schlagen wir spätnachmittags unser Basislager unterhalb des Vulkans Erta Alé auf. Unser Dolmetscher verhandelt mit den hier ansässigen Afar, denn wir benötigen sechs Lastkamele, die ausreichend Wasser hoch auf den Vulkan transportieren sollen. Nach über einer Stunde harten Verhandelns einigt man sich: Wir zahlen für eine eintägige Miete von 6 Kamelen einschließlich eines Kameltreibers umgerechnet 20 Euro.

Nach Sonnenuntergang, es sind immer noch 39 Grad, marschiere ich dann los, bepackt mit 8 kg Photoausrüstung und 4 Litern Wasser: Bis hoch auf den Vulkan sind es 550 Höhenmeter, die in einem 4-stündigen fast 11 km langen Fußmarsch über scharfkantiges Vulkangestein zurückzulegen sind. Der Aufstieg erfolgt im Dunkeln, nur im Licht der Kopflampe, und der Weg führt bis direkt an den Schlot des Vulkans.

Und dort entschädigt mich ein faszinierendes Naturschauspiel für all die Strapazen: Ich schaue direkt in einen gewaltigen Feuertopf, größer als ein Fußballfeld. Im Schlot kocht flüssiges Gestein mit einer Temperatur von über 1.000 Grad. Immer wieder kommen große Gasblasen hoch, die dann in oft 20 m hohen Fontänen aus dünnflüssiger Magma zerplatzen.

Ich verbringe die ganze Nacht am Kraterrand. An Schlaf ist angesichts dieses Naturschauspiels nicht zu denken, doch mein Körper fordert jetzt seinen Tribut: Die tagelange Hitze, der kräftezehrende Aufstieg, der Schlafmangel und dazu noch übelriechende vulkanische Gase führen bei mir zu einem Kreislaufkollaps mit Schwindel, Erbrechen und starken Kopfschmerzen. Ein Afar-Führer hält mir die Füße hoch, nach einer Viertelstunde bin ich dann wieder auf den Beinen und belichte noch 10 Filme in dieser Nacht.

Morgens bei Sonnenaufgang verlasse ich den Magmasee und beginne den Abstieg. Und diese Tortur werde ich nie vergessen, denn jetzt muss ich den fast 11 km langen Weg statt im Dunkeln in sengender Sonne zurücklegen. Als ich mit letzter Kraft in das Basislager stolpere, habe ich keinen einzigen Tropfen Wasser mehr. Und dann folgt prompt der nächste noch heftigere Kreislaufkollaps, kein Wunder, denn wir messen um 10 Uhr im Schatten unter den Fahrzeugen eine Temperatur von 47 Grad.


Hermann - Josef Bergmann

Veranstaltungsort und Adresse

Stadthalle, Zur Geest 25, 59399 Olfen

    28. Januar 2011

  • Fr
    28.01.2011
    19:00

Multivisionsschau "ÄTHIOPIEN"

Diese Veranstaltung in Olfen wurde von JUERGEN REI veröffentlicht. Multivisionsschau "ÄTHIOPIEN" ist den Rubriken Vortrag und Afrika zugeordnet.