Schulvorführung: “The Marchers” (La marche, OEngU)
AfricAvenir und die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) laden gemeinsam zu einer einmaligen Schulvorführung des Spielfilms „The Marchers“ (La marche) von Nabil Ben Yadir, der hochgelobten Verfilmung des „Marsches für Gleichheit und gegen Rassismus“, der vor 30 Jahren mehr als 100.000 Menschen gegen offenen und latenten Rassismus in Frankreich auf die Straße brachte.
Im Anschluss findet ein Publikumsgespräch mit dem Initiator des Marsches von 1983, Toumi Djaïdja und der Anti-Rassismus Aktivistin Rokhaya Diallo statt.
The Marchers (La marche), R Nabil Ben Yadir, Spielfilm, F/B, 2013, OengU
15. Oktober 1983. In einem von Intoleranz und rassistischen Gewalttaten beherrschten Frankreich initiieren drei Jugendliche und der Pfarrer des Arbeiterviertels Les Minguettes (Lyon) einen großen pazifistischen „Marsch für Gleichheit und gegen Rassismus“, der sie über 1.000 Km von Marseille nach Paris führt. Trotz der zahlreichen Schwierigkeiten und Widerstände, löst ihre Bewegung eine riesige Welle der Hoffnung aus, ähnlich den pazifistischen Kundgebungen Gandhis oder Martin Luther King Jr. Den Jugendlichen schließen sich immer mehr Menschen an, bis sie in Paris von mehr als 100.000 Menschen empfangen werden.
Schulvorführung: The Marchers (La marche)
Nabil Ben Yadir, Spielfilm, F/B, 2013, 120 Min.
Original Französisch mit englischen Untertiteln
Donnerstag, 16. Oktober 2014, 10:00 Uhr
Eintritt: 4,00 € pro Schüler/in, begleitende Lehrkräfte frei
Anmeldung: p.horsters(at)africavenir.org / 030-26934764
Altersempfehlung: ab 14 Jahren, oder ab 9. Jahrgangsstufe
Unterrichtsfächer: Geschichte, Sozialkunde, Politikwissenschaft, Ethik/Religion, Französisch, Englisch
Themen: Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, soziale Gerechtigkeit, Integration, Migration, gesellschaftliche Teilhabe, Unterdrückung, Pazifismus, Protest, Bürgerrechtsbewegung
Anknüpfungspunkte für die pädagogische Arbeit
In anschaulicher Weise arbeitet der Film nach 30 Jahren die fast vergessene bzw. verdrängte Geschichte des „Marsches für Gleichheit und gegen Rassismus“ von 1983 auf und erinnert daran, dass es auch in Europa Bürgerrechts- und antirassistische Bewegungen gegeben hat und gibt, ohne die. Der Film tut dies mit den Mitteln der Fiktion. Basierend auf historischen Fakten und in enger Zusammenarbeit mit den Protagonisten von damals, ermöglicht die Fiktion dennoch dem Regisseur einen gesunden Abstand zu eben diesen Realitäten, um Charaktere wo notwendig zu überzeichnen bzw. emotionale Momente oder wichtige Konfliktsituationen besonders hervorzuheben. Die Filmsprache ist jung und ansprechend, die allesamt komplexen Charaktere hervorragend ausgearbeitet, schauspielerisch ist die Produktion tadellos.
Der Film erzählt dieses wichtige Kapitel aus der Sicht der Protagonisten, mit denen man sich als Zuschauer/in auch sofort identifiziert. Er problematisiert den alltäglichen und strukturellen Rassismus in Europa, die auch in Deutschland weit verbreitete Erfahrung des Racial Profiling und vor allem auch, wie die Politik aus wahlpolitischem Kalkül und durch systematische Stigmatisierung Feindbilder wie den „Islamismus“ schafft bzw. indirekt befördert.
La marche spricht auch die Möglichkeiten, aber vielleicht auch die Grenzen des politischen Engagements an, reflektiert in differenzierter Weise über pazifistischen Widerstand versus gewaltsamer Konfrontation, problematisiert die individuellen und divergierenden Interessen und Ansichten innerhalb der Gruppe, sowie den Versuch der Kooptierung durch die Politik und durch verschiedene Strömungen der Zivilgesellschaft.
Hochaktuell ist dieser Film aus vielerlei Gründen, allen voran deswegen, weil sich an der Situation der Jugendlichen der Banlieues nicht grundlegend gebessert hat. Er ist es aber auch, weil ähnlich wie in 1983 die extrem rechten Parteien wie der Front National erschreckende Wahlerfolge auf allen Ebenen verzeichnen und weil scheinbar offen rassistische Beleidigungen – sogar gegen eine Ministerin (Justizministerin Taubira) – wieder möglich geworden zu sein scheinen.
Historischer Hintergrund
Anfang der 1980er Jahre ist Frankreich zunehmend geprägt durch steigende Intoleranz und rassistische Gewalttaten. 1983 verzeichnen antirassistische Organisationen 50 rassistisch motivierten Verbrechen innerhalb weniger Monate. Ein Dutzend Vorstadtjugendliche sind unter den Opfern, erschlagen oder erschossen von Nachbarn, Passanten und Polizisten. Eines der Opfer ist ein 10-jähriger Junge in der Pariser Vorstadt La Courneuve.
Nach ihrer historischen Wahlniederlage heizen die rechten Parteien die Stimmung noch weiter an. In dieser Zeit erringt auch der Front National seinen ersten kommunalen Wahlsieg und wird durch die Allianz mit dem RPR von Chirac hoffähig gemacht. Einseitig und pauschal macht aber auch die sozialistische Regierung die „Migrantenkinder“ für die Probleme in den Vorstädten verantwortlich und so erhält die Polizei den Auftrag, hart durchzugreifen. Es vergeht kein Monat, ohne dass in den sozial benachteiligten Vorstädten ein junger Nordafrikaner durch Polizeikugeln stirbt. Die Mehrheit der uniformierten Todesschützen kommt jedoch straffrei davon.
So wird am 20. Juni 1983 in dem Banlieue-Viertel Les Minguettes in Vénissieux bei Lyon der junge Toumi Djaïdja lebensgefährlich angeschossen, als er einem Mann gegen den Angriff eines Polizeihundes schützen will. Djaïdja hat Glück und überlebt. Auf dem Krankenhausbett beschließt er, angeregt durch die Gespräche mit Pater Christian Delorme, durch einen friedlichen Protestmarsch nach Paris „Gesicht zu zeigen“. Dabei soll es um zwei politische Hauptforderungen gehen: eine zehnjährige Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung und das Wahlrecht für „Ausländer“. Bis dahin musste die „carte de séjour“ alle vier Monate erneuert werden (!).
Der Marsch startet in Marseille mit weniger als 20 Personen und stößt zunächst auf quasi völlige Gleichgültigkeit. An der ersten Etappe besteht das Empfangskomitee aus genau einer Person. Nur langsam wächst die Aufmerksamkeit. In Lyon (der Heimatstadt der Initiatoren) empfangen sie mehr als tausend Sympathisanten und als die Gruppe am 3. Dezember in Paris ankommt, sind es 100.000. Auch Vertreter von Parteien und Gewerkschaften erwarteten sie, drei Minister, der Kardinal von Paris und am Ende wird eine Delegation der Marschierer sogar von Staatspräsident Mitterrand persönlich empfangen.
Fest steht, dass der «Marsch für Gleichheit und gegen Rassismus», der von den Medien in «marche des beurs» umbenannt wurde, für die Sichtbarkeit und Selbstbehauptung der Migrantenkinder in Frankreich ein kapitaler Moment war. Frankreichs Öffentlichkeit nahm zum ersten Mal überhaupt die jungen Franzosen nordafrikanischer Abstammung aus den Vorstädten des Landes wirklich wahr. Für das Land war diese Bewegung aus den Vorstadtghettos, 20 Jahre nach Ende des Algerienkriegs, eine echte Wende in der Geschichte der Immigration und hatte letztlich, wenn auch mit Abstrichen, eine ähnliche Bedeutung und Wirkung wie der Marsch von 1963 in den USA und der Ereignisse rund um Martin Luther King.
Plötzlich ist für alle in Frankreich etwas sichtbar geworden, was die französische Gesellschaft bis dahin nicht wirklich wahrnehmen wollte: Franzose zu sein, war nicht an die Hautfarbe oder einen bestimmte christlich-abendländischen kulturellen Hintergrund gebunden. Die, die sechs Wochen lang durch Frankreich zogen, sagten damals der Öffentlichkeit: wir sind von hier, wir sind aus diesem Land, wir lieben dieses Land und wir werden in diesem Land bleiben, in dem wir dieselben Rechte, wie die anderen beanspruchen. Und letztlich signalisierten sie den Franzosen auch, dass die Zeit der Kolonien vorüber ist, ebenso wie der Mythos der Rückkehr dieser Menschen nach Nordafrika und dass die Immigration eben nicht nur vorübergehendend ist.
"Dieser Marsch war aus der Not geboren worden. Die Situation war wirklich einfach dramatisch“, sagt der 52- jährige Toumi Djaïdja, der den Marsch vor nunmehr 30 Jahren initiierte. „Dieser Marsch war ein Aufschrei und zugleich eine ausgestreckte Hand. Ein Aufschrei, um auf die vielen rassistischen Verbrechen in jener Zeit aufmerksam zu machen und zugleich eine ausgestreckte Hand von jungen Menschen, die sich als Franzosen fühlten und verlangten, als solche auch voll und ganz anerkannt zu werden, so wie sie eben waren, unabhängig von ihrer Herkunft.“
Unter dem Druck der Demonstranten ersetzte der damalige Staatschef François Mitterrand die vierteljährlich zu erneuernde «carte de résident» durch eine zehnjährige Aufenthaltsgenehmigung.
Aus dem Marsch und der durch ihn angestoßene Bewegung ging damals indirekt auch die Organisation „SOS Racisme“ hervor, die mit der geöffneten gelben Hand als Anstecknadel und dem Motto „Touche pas a mon pote“ - „Rühr meinen Kumpel nicht an“, auch über die Grenzen Frankreichs hinaus bekannt wurde. Doch die Betroffenen in den Vorstädten sahen sich durch diese Organisation von Anfang an politisch vereinnahmt. Ihr Hauptanliegen war „Egalité“ - Gleichheit in jeder Hinsicht und nicht nur der medial unterstützte moralischer Anti-Rassismus.
„Auch wenn es einige positive Aspekte dabei gab“, meint Pfarrer Christian Delorme heute, „so ist doch klar, dass SOS Rassismus eine von Präsident Mitterrand gesteuerte politische Konstruktion war, auch um so zu tun, als würde man etwas gegen den Front National unternehmen, welche Mitterrand de facto, wenn auch diskret, gefördert hatte, um die traditionelle Rechte zu schwächen. Diese Instrumentalisierung hat dazu geführt, dass die Vorstadtjugendlichen SOS Rassismus von Anfang an vehement abgelehnt haben. Der eigentliche Misserfolg des Ganzen bestand darin, dass die Machthabenden nicht kapiert haben, dass es bei der Bewegung vor allem um die Forderung nach Gleichheit ging, unabhängig von der Herkunft der einzelnen.“
„Wir müssen heute feststellen“, so Delorme weiter, „dass sich die Menschen in den Vororten von der Gesellschaft zurückziehen. In diesen Gebieten der Republik gehen z.B. nicht mal 20% der Menschen zur Wahl. Und die Jugendlichen dort glauben einfach nicht mehr an die Institutionen der Republik. Trotzdem wollen sie aber natürlich Franzosen sein und ihren Platz in der Republik finden. Viele von ihnen denken heute, dass das nur möglich ist, indem sie eine Art Kräfteverhältnis herstellen dadurch, dass sie sich dem Islam zuwenden. Sie wollen Franzosen sein, ihren Platz finden, sagen sich aber: da die normalen Mittel der Integration das nicht mehr möglich machen und nicht ermöglicht haben, werden wir über die Religion Druck ausüben (…) Und dann gibt es all diejenigen Kinder und Enkelkinder von Einwanderern, die ihren Platz in der französischen Gesellschaft sehr wohl gefunden haben, ohne viel Lärm zu machen und auch überhaupt nicht mehr als Andersartige gesehen werden wollen. Doch dieses Land akzeptiert sie trotzdem nicht und das Drama dabei ist, dass viele dieser jungen, diplomierten Menschen weggehen, nach Grossbritannien, in die Schweiz, nach Belgien etc. Dort werden sie als Franzosen anerkannt, während man sie hier immer noch als „Araber“ behandelt, die zwar die französische Nationalität haben, sich aber fragen lassen müssen, ob es legitim ist, dass sie diese Nationalität haben.“
Preise
Preis der Stiftung ENAR (European Network Against Racism)
Nominiert als bester film, die beste Inzenierung und den Jury Preis, Festival International du Film de Marrakech 2013
Nominiert für das beste Script und den besten männlichen Newcomer, Lumières de la presse étrangère 2014
Diskutanten
Toumi Djaïdja (Initiator des Marsches 1983)
1962 im Südosten von Algerien geboren, wandert Toumi Djaïdja 1967 mit seiner Familie nach Frankreich aus. Der Ölpreisschock und die damit zusammenhängenden ökomischen Schwierigkeiten verschärfen in den späten 70er Jahren die sozialen Ungleichheiten in Frankreich. Die folgenden Unruhen entladen sich Anfang der 80er Jahre immer gewaltvoller. Nach einem solchen gewalttätigen Clash mit der Polizei am 21. März 1983 in Vénissieux, ist Djaïdja einer der ca. 400 Jugendlichen, die friedlich vor der Stadthalle campen, um ihren Protest gegen Rassismus, aber auch gegen Polizeigewalt kundzutun. Im Zuge dieses erfolgreichen Sit-ins realisiert Djaïdja die Kraft des gewaltlosen Widerstands nach dem Vorbild Ghandis oder Martin Luther King Jr. Als Djaïdja eines Nachts versucht, einem jungen Mann zu helfen, der von einem Polizeihund angegriffen wird, wird er selbst von eine Polizisten angeschossen. In der Folge initiiert er im Winter 1983 den ersten „Marsch für Gleichstellung und gegen Rassismus“.
Rohaya Diallo (Autorin, Regisseurin, Aktivistin)
Geboren und aufgewachsen in Paris war sie schon von Jugend an in der lokalen Politik aktiv, wie z.B. als Vorsitzende des „Youth Council“ der Pariser Vorstadt La Courneuve oder in der anti-sexistischen Organisation Mix-Cité. Im Jahre 2007 begründete sie die Gruppe INDIVISIBLES mit, deren Ziel es ist, Vorurteile und rassistische Diskrimination mit Humor und Ironie aufzubrechen, wie z.B. im Rahmen der „Y A BON AWARDS“, welche die „besten rassistischen Äußerungen“ auszeichnet. Nach verschiedenen Anstellungen im Radio und Fernsehen und Hochschulabschlüsse in Jura und Audio-visuelles Marketing und Verkauf, wurde sie 2009 Kommentatorin für das Fernsehprogramm LA MATINALE auf Kanal +, später Co-Regisseurin und Leiterin der dokumentarischen Fernsehserie „Equals but not too much“ auf LCP-AN und schrieb für das Magazin „Les INROCKUBTILES“. Ihre journalistische Tätigkeit hielt Rokhaya jedoch nicht davon ab, ihrer politischen Überzeugung nachzugehen. Unter anderem trat sie dem European Network against Racism (ENAR) bei.
Rohayas ist (Co-)Autorin zahlreicher vielbeachteter Bücher wie „Call for a Multicultural and Post-Racial Republic“ (2010), „RACISM: The Guide“ (Larousse, 2011), „France belongs to us“ (Michel Lafon, 2012), „France: One and Multicultural“ (Fayard, 2012. In der Folge veröffentlichte sie „How to Talk to Kids about Racism“ (le Baron Perché) und leitete 2013 für den französischen Fernsehsender „France Ô“ die Sendung „Steps to Liberty“ woraus der Film „The Marches for Freedom“ entstand. Nachdem sie zum Ziel eines Vergewaltigungs-Aufrufs bei Twitter geworden war, produzierte Rokhaya eine Dokumentation mit dem Titel „Networks of Hate“, die sich mit der Kontroverse über Diffamierung und Hassreden im Internet im Zusammenhang mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung beschäftigt.
2012 wurde Rokhaya für ihre Arbeit gegen Rassismus mit dem prestigeträchtigen Preis für Antirassismus- und Antidiskriminierung der NGO COJEP ausgezeichnet. 2013 wurde sie vom Slate Magazin auf der Liste der 100 einflussreichsten französischen Frauen auf Platz 36 geführt, die britische Organisation „Powerful Media“ wählte sie zu einer der 30 einflussreichsten Schwarzen Menschen Europas und 2014 erschien sie als eine der 100 innovativsten ökonomischen Akteure in Europa auf der „Purpose Economy 100“ Liste. Heute lebt Rohaya in Paris, ist ein gern gesehener Gast bei internationalen und nationalen Konferenzen und arbeitet an verschiedenen neuen Büchern und Filmen.
Gefördert durch Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst, RLS, Heinrich-Böll-Stiftung, Auswärtiges Amt.
The Marchers (La Marche)
R Nabil Ben Yadir, Spielfilm, F/B, 2013, OengU
D Olivier Gourmet, Tewfik Jallab, Vincent Rottiers, M'Barek Belkouk, Nader Boussandel, Lubna Azabal, Hafsia Herzi, Charlotte Le Bon
Hackesche Höfe Kino
Rosenthaler Str. 40/41
10178 Berlin
S Hackescher Markt
U Weinmeisterstraße
Karten und Auskunft
030 283 46 03
www.hackesche-hoefe.org
Veranstaltungsort und Adresse
Hackesche Höfe Kino, Rosenthaler Str. 40/41, 10178 Berlin
- Do16.10.201410:00
16. Oktober 2014
Schulvorführung: “The Marchers” (La marche, OEngU)
Diese Veranstaltung in Berlin (Bezirk Mitte) wurde von AfricAvenir International veröffentlicht. Schulvorführung: “The Marchers” (La marche, OEngU) ist der Rubrik Kino zugeordnet.